Ob im Beruf nach Feierabend, im Urlaub oder im Privatleben: Das Handy darf jederzeit klingeln, die Mails werden mehrmals täglich gelesen, ständige Erreichbarkeit und umgehende Reaktionen werden vorausgesetzt. „Abschalten“ wird mehr und mehr zum Fremdwort – doch das kann schwerwiegende Folgen haben.

Ständige Erreichbarkeit: Von der Angst, etwas zu verpassen


Die modernen Medien sind in vielen Lebensbereichen hilfreich, bereichernd und nicht mehr wegzudenken. Doch inzwischen nehmen sie große Teile des Lebens ein, in denen sie zunehmend Zwang und Stress verursachen. Die gesellschaftliche Angst davor, wichtige Informationen, Neuigkeiten oder Anfragen zu verpassen, hat sich in den Köpfen der Menschen festgesetzt. Ständig muss das Smartphone überprüft, die Nachrichten beantwortet und die sozialen Medien durchgeschaut werden. Egal ob es der Vorgesetzte oder eine Person aus dem privaten Umfeld ist, nur wenige trauen sich noch, nicht abzunehmen, wenn das Handy klingelt. Auch das zeitnahe Beantworten von Nachrichten und Mails ist inzwischen selbstverständli Die Gefahr, eine Chance zu verpassen oder eine Neuigkeit als Letzter zu erfahren, ist einfach zu groß. Und die Informationsflut ist so gewaltig, dass es immer etwas Neues zu erfahren gibt. Wer nicht ständig im Bilde ist, gerät schnell an den Rand einer Diskussion und fühlt sich außen vor. Das unterstützt das Bedürfnis nach ständiger Erreichbarkeit und führt nicht selten dazu, dass jede freie Sekunde dem Smartphone oder dem E-Mailpostfach gewidmet werden.  

Der ständig verfügbare Mitarbeiter

Besonders in der Arbeitswelt ist es häufig selbstverständlich, dass Mitarbeiter auch in Pausen, nach Feierabend oder im Urlaub erreichbar und damit auch verfügbar sind. Das Beantworten von Fragen oder die kurze Rücksprache werden schon nicht mehr als Arbeitsleistung gesehen, sondern als vorausgesetztes Engagement für den Job. Was für die Firma ein Gewinn ist, geht stark auf Kosten der Mitarbeiter, denn klar abgegrenzte Ruhephasen sind Voraussetzung für nachhaltige Erholung. Wenn das Gehirn nicht deutlich erfährt, wann es zur Ruhe kommen und sich erholen kann, befindet sich der Mensch in pausenloser Aufmerksamkeit, was schnell zu einem Burnout führen kann. Doch bereits vor dem gefürchteten Burnout zeigen Migräne, Konzentrationsschwierigkeiten und Stressanzeichen, dass der Mitarbeiter überfordert ist – vielleicht, ohne es selbst zu bemerken. Denn da die ständige Erreichbarkeit außerhalb des Büros nicht explizit als Arbeitszeit anerkannt wird, scheint auch keine akute Überarbeitung vorzuliegen.
Arbeitnehmer sollten sich deshalb besonders genau informieren, wie viel Erreichbarkeit der Chef verlangen darf.

Eine junge Frau reibt sich die Augen, neben ihr liegen ein Smartphone und ein Tablet-Pc. (ständige Erreichbarkeit)
Ständige Erreichbarkeit kann zu starkem Stress und massiver Überlastung führen. Häufig sind Kopfschmerzen, Schwindel und dauerhafte Müdigkeit erste Symptome einer Erkrankung die häufig als Burnout endet.

Fühlen Sie sich auch gerne wichtig und gebraucht?

Beliebtheit, Präsenz und das Gefühl, gebraucht zu werden: Die ständige Erreichbarkeit fügt sich sehr gut in unsere menschlichen Bedürfnisse ein und macht sich diese zu Nutze. Denn häufige Nachrichten und Anrufe sind für viele ein Zeichen dafür, wie sie für ihre Mitmenschen sind. Es schmeichelt, dass die Firma scheinbar ohne ihre Kompetenz nicht funktioniert. Für das eigene Ego ist es gut, dass Kollegen oder Freunde selbst in der Freizeit Fragen haben. Wer möchte sich da schon gerne eingestehen, dass einige Stunden Ruhe wichtiger wären, als den Mitmenschen mit der eigenen Kompetenz zur Seite zu stehen. Dieser Gedanke verleitet nicht selten dazu, die ständige Erreichbarkeit immer mehr auszudehnen und sich sogar schuldig zu fühlen, wenn Termine oder Urlaube die Erreichbarkeit notgedrungen einschränken.
Das Bedürfnis danach, gebraucht zu werden und kompetent zu sein, wird von vielen Vorgesetzten, aber auch Freunden, sehr geschickt genutzt. Ob bewusst oder unbewusst – wer ständig erreichbar ist, erfährt oft Lob und Anerkennung. Dass dies jedoch auch mit Stress und zusätzlichen Belastungen verbunden sein kann, wird dabei nur selten bedacht.

Darum ist Work-Life-Balance so wichtig

In Zeiten von Home-Office, gleitenden Arbeitszeiten und globalen Geschäftsreisen und -kontakten ist es immer schwieriger, Arbeitsleben und Privatleben zu trennen. Die Grenzen verschwimmen und viele Mitarbeiter wissen nicht mehr, ob und wie sie Bereiche abgrenzen sollen. Klare Abgrenzungen sind jedoch sehr wichtig, um sich selbst nicht nur als Leistungserbringer, sondern auch als Mensch mit eigenen Bedürfnissen wahrzunehmen. Wer nicht mehr lernt, „Nein“ zu sagen zu grenzenlosen Anforderungen aus dem Arbeitsumfeld, der verliert den eigenen Kräftehaushalt schnell aus den Augen. Das Gespür für ein „Genug“ oder gar ein „zu viel“ an Aufgaben und Informationen geht verloren. Ein solcher Alltag ist dauerhaft nicht aufrecht zu erhalten und bringt Langzeitfolgen mit sich, die dann unter Umständen die Karriere oder das Leben gravierender einschränken, als eine regelmäßige Auszeit es könnte.

Ein junger Mann brüllt sein Smartphone an. (Ständige Erreichbarkeit)
Stress führt zu Wut, Wut führt zu Hass. Hass führt zu großer beruflicher Unzufriedenheit- wer Privat und Berufliches nicht trennt, läuft Gefahr, die Freude an der eigenen Tätigkeit zu verlieren.

Ein Lösungsansatz für ständige Erreichbarkeit

Die Vorteile von Handy, eMail und Co. zu nutzen, ohne sich von den Nachteilen im Griff halten zu lassen – das ist der Balanceakt, den Mitarbeiter und Privatmenschen schaffen müssen. Dabei ist es wichtig, einen realistischen Blick auf die Notwendigkeiten des eigenen Alltags zu haben. Gibt es Zeiten, in denen die ständige Erreichbarkeit wichtig ist, dann führt es nur zu Sorgen und damit wiederum Stress, sich zu einer Auszeit zu zwingen. Es sollte jedoch im Laufe des Tages feststehende Zeiten geben, zu denen das Handy zumindest lautlos geschaltet und keine Mail mehr gelesen wird. Klare Absprachen mit Mitbeteiligten wie Familie oder Kollegen helfen dabei, Fremderwartungen und eigene Bedürfnisse abzustimmen. Dabei ist es wichtig, darauf zu bestehen, auch noch ein privater Mensch zu sein, der sich selbst Zeiten der Entspannung schuldet. Wer sich kleine Ruhephasen schafft und sich auch an diese hält, gibt den eigenen Gehirn die Möglichkeit, zu einer Gewöhnung zu gelangen. Bei zuverlässiger Einhaltung dieser Phasen kann sich dann auch innerhalb weniger Minuten eine echte Erholung einstellen.





Fotos:
Fotolia/vchalup
Fotolia/Kittiphan
Fotolia/denis_vermenko